….die Kirche im Dorf…sagte mein Vater immer wenn er mich mal wieder in einem Vorhaben stoppen wollte…dementsprechend schlecht war ich auf die Kirche auch zu sprechen…klar, was die Eltern sind und glauben ist ja genau das was man selber also nicht will…das wahre Leben fand eh nicht auf dem Dorf statt…Ferien in Frankreich, Satre lesen, Rotwein trinken und Camembert futtern, dazu eine Gauloises ..ha, so machte das Erwachsen werden Spass…hielt leider nur 2 Wochen lang, dann ging es zurück ins Dorf, lernen fürs ABI und jeden morgen vorbei an der Kirche…es gab davon eine ganz Grosse in der Mitte, und eine ganz Kleine am Rand…das war die Evangelische Kirche zu der wir als zugezogene Norddeutsche pro Forma auch gehörten ( na Ule, bei dir sieht es wohl ähnlich aus , unter : ulerolff.net schreibt sie gerade über Heimat ) Hier in dieser Gegend gab es den Kirchturmausblickcontest : Die Kirche von deren Turm man die meisten anderen Kirchtürme sehen konnte durfte sich Dom nennen. Da wurde heftig gemogelt und gerne mal der Schornstein der örtlichen Ziegelei mitgezählt…der Contest war halt Glaubenssache :-) Und wer nicht glauben wollte…nun, in der nächsten Großstadt hingen in der Kirche ganz oben im Turm drei Käfige…zwecks Abschreckung liess man dort einige Ketzer lebendig verhungern…in alten nicht so schönen Zeiten. Und als die ersten Grünen sich im Dorf zur Wahl des Bürgermeisters mit anstellten gab es von der Kanzel sonntags mahnende Worte ans gemeine Fussvolk…ihr werdet doch wohl nicht…Es dauerte dann 12 Jahre bis es doch geschah…aber wir Ketzer liefen stolz mit der Sonnenblume auf der Jacke durchs Dorf. Der Erste der mir eine andere Form der Gläubigkeit nahelegte war der Vater eines Mädchens mit dem ich gerne befreundet gewesen wäre…ich redete die ganze Nacht von Philosophie und dem Unsinn der Kirche, ganz zu schweigen von deren historischen Verbrechen…und er erzählte mir von einem schweren Verkehrsunfall mit Nahtoderfahrung…und das er seit dem Moment ein gläubiger Mensch sei…Das mit dem Mädchen klappte nicht aber an das Gespräch denke ich heute noch gerne zurück. Dann ging es hinaus in die weite Welt, ohne Dorfmauern und Dom in der Mitte, je grösser die Stadt umso besser. Jetzt gab es hohe Fernsehtürme und echte Hochhäuser ….aber das mit der Kirche im Dorf…es ist wie verhext, je älter ich werde umso mehr fühle ich mich im Dorf wieder wohl…da gilt wohl ein anderer alter Spruch ,vom Apfel der nicht weit…und so weiter. Schliesse ich also Frieden mit mir und dem Dorf und da fällt mir gerade auf, wenn ich durchs Fenster schaue sehe ich auf einen..genau, einen Kirchturm 50 Meter entfernt…man kann ihnen einfach nicht entkommen, auch nicht in der Großstadt . Und ab und zu ertappe ich mich das Fenster zu öffnen und dem beruhigenden Klang der Glocken zu lauschen…vielleicht sollte ich mal rübergehen ….
…fällt nicht weit vom Pferd… und die Gastwirtschaft gegenüber der Kirche. Gibt’s das überhaupt noch: Frühschoppen nach dem Gottesdienst?
Das erinnert mich an „Die Heiden von Kummerow“.
Na klar, der harte Kern der Dörfler, vor allem die Bauern und Geschäftsleute gehen nach der 10.00 Uhr Messe in die Kneipe, Klare kippen und Politik besprechen, das hat Sonntag so seine Tradition. Wird aber immer weniger, die jüngeren Bauern sind da oft anders gestrickt als ihre Väter und kümmern sich Kaffee trinkend um ihre Kinder….
O ja, lieber Jürgen, sehr ähnlich sieht es hier aus: mehrere beturmte katholische Kirchen, in jedem Ortsteil eine, und habe es auch nur 2000 Einwohner – und eine Minihütte mit kläglichem Gebimmel für die paar verstreuten „Evangelen“, Nachkommen der Flüchtlinge aus „dem Osten“ im 2.Weltkrieg.
Tatsächlich waren auch mir als Jugendlicher Familie und Kleinstadt – damals in Schleswig-Holstein – viel zu eng kontrolliert und geregelt, so dass ich nach dem Abi jauchzend gleich das Bundesland verließ, um bloß nicht nah genug für Wochenendbesuche zu studieren. Und mit dem Älterwerden wird dann die Stadtt nervig und hektisch, das Landleben so verlockend übersichtlich … so schließt sich der Kreis. Die dörfliche Gesellschaft ist, bis auf Einzelfälle, aber deutlich toleranter und offener geworden – das von dir beschriebene sonntägliche Wäscheaufhängen wäre kein Problem mehr, und ein Angebot ordentlicher Rockveranstaltungen in der näheren Umgebung gibt es auch.
Dein Foto finde ich übrigens sehr interessant, so etwas fisheyemäßig, oder? Und sehe ich da so eine Art Zwiebeldachkirchturm im Hintergrund? Wo gibt es im Norden denn sowas?
Guten Morgen Ule,
ich denke auch das es heute auf dem Dorf toleranter geworden ist, bzw. es zwei Dorfgemeinschaften gibt, die Eine die schon immer dort gewohnt hat und eine Zweite der Neuhinzugezogenen, beide haben u.U. kaum miteinander zu tun. In Lüdinghausen hat sich die Einwohnerzahl in den letzten 10 Jahren fast verdoppelt, es sind grosse Neubaugebiete um die Stadt herum erschlossen worden. Nachteil : Der alte Stadtkern verödet und der Verkehr ist grossstadtmässig, alle fahren zur Arbeit ins nahe Ruhrgebiet oder zum Einkaufen. Ob sich die Zugezogenen noch als Dörfler bezeichnen ? Vermutlich nicht, heute gibt es ein anderes Heimatgefühl, man baut dort wo es günstig ist und nicht da wo man geboren ist.
Und mit der Kirche hast du mich voll erwischt :-) Das Foto ist mit einem 11mm Superweitwinkel /Vollformatkamera gemacht, und zwar nicht im Norden sondern in Dahme/Brandenburg ( als ich für meine B96 Tour unterwegs war)
Liebe Grüsse aus dem verregneten Hamburg von Jürgen
Das Thema war doch neulich schon mal ähnlich, von wegen Ausbruch/Aufbruch in die Großstadt und so. Ich war da eh anders. Scholle-bewusster. Hat aber leider auch nicht geklappt, mit dem Dableiben. Trotzdem bin ich froh, dass es wenigstens wiederum kleine nester waren,in die es mich verschlug. Also ich mag Großstädte eher nicht und Berlin noch weniger.
Dorfhüpfer :-) Ich bin von Klein (2500 Einwohner ) bis jetzt immer grösser geworden (Hamburg/ca.2 Mill.) , aber auch beruflich bedingt, nicht weil ich unbedingt freiwillig wollte. Jetzt scheint es für mich wieder rückwärts zu gehen :-)
Tu’s nicht, also rübergehen, die sind immer noch genauso bigott, wie sie immer schon waren, auch wenn sie heutzutage fortschrittlich tun. Pure Nostalgie, die Dich da gerade befällt, ich kenn das – mach Dir eine Flasche Roten auf und warte, bis der Anfall vorübergeht. Großstadt ist nervig und hektisch und anonym, aber glaub mir, vier Wochen im Dorf, und Du erinnerst Dich gut daran, warum Du damals so rebellisch warst. Zu Besuch ist okay – aber bleibst Du zu lang, dann wirst Du die Großstadt wieder lieben lernen.;-)
Da hast du vermutlich Recht, zu Besuch ist es ok , ein Kurzurlaub auch aber, man weiss man fährt wieder und muss nicht versuchen sich im Dorf einzugliedern. Drauf ein , nein 2 Glas Rotwein :-) Grüsse von Jürgen aus der kleinen Grossstadt !
Eine feine Fotografie und ein ericht, der nachdenklich macht, im positiven Sinn.
Dorf und Stadt im Kontext des Alters zu sehen, lässt einen interessante Entdeckungen der (auch) eigenen Persönlichkeit machen.
Wobei ich unterscheide zwischen abgelegenem Dorf, stadtnahem Dorf, Kleinstadt, Grossstadt und Metropole. In meinem Fall kommen ja noch drei Erdteile dazu, in denen ich lebte und arbeitete.
Ich stamme aus einem stadtnahen Dorf in einer Metropolregion. Und habe in allen erwähnten Siedlungsformen zeitweise gelebt. Und jetzt lebe ich wieder dort, wo ich mein Leben begonnen habe. Erkannt habe ich im Lauf der Jahre, dass ich nie „Heimweh“ nach irgendeinem Ort hatte, sondern es war immer nur die Sehnsucht nach Menschen.
Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende aus dem januargrauen Südhessen,
Herr Ärmel
Vielen Dank Herr Ärmel,
da sind sie ja weit herumgekommen , und das mit dem stadtnahen Dorf nächst einer Metropolregion könnte auch auf mich zutreffen, so man das Ruhrgebiet als solche auffasst…eigentlich ist es ja nur eine Ansammlung verschieden grosser Städte :-) Und da ich 13 Mal ungezogen bin gibt es bei mir auch nicht das klassische ..wir fahren jetzt nach Hause , da ist die Heimat…Gefühl, höchstens so eine Idee in welchem Umfeld man sich wohlfühlen würde…und dazu sind auf jeden Fall menschliche Beziehungen wichtiger als die Beschaffenheit des Ortes. Ich wünsche Ihnen ein entspanntes Wochenende und sende Grüsse aus dem verregneten Hamburg in den Süden, Jürgen
Das Ruhrgebiet wird längst zu den Metrpolregionen gezählt. Dreizehn Umzüge sind ne Menge. Ich habe grad im Stillen mal gezählt, wie viele das bei mir waren.
Am Ende zählen wirklich die Menschen, da sind wir d´accord.
Nochmals schöne Grüsse, inzwischen regnets auch hier Bindfäden…
Mein alter Herr war bei der Bundeswehr und die Familie musste alle 3 Jahre nachziehen…so lernt man viele Bundesländer kennen und vor allem das chaotische Entwicklungsland mässig organisierte Bildungssystem…war nicht immer lustig…
Mein Vater war zu jung für den Verein. Er wäre gerne dahin gegangen. Besonders in Zeiten, da ich diesen Dienst verweigert hatte.
Das Bildungssystem hätten wir nach 1989 von der untergegangenen DDR übernehmen sollen. Hier hat seit den 1960er Jahren eine „Kultusministerkonferenz“ und reihenweise universitäre Sesselpuper das sagen. Und man sieht ja, was dabei herauskommt…
Mit stadtnahen Dörfern in unmittelbarer Nähe zur Metropole Frankfurt wurde ich nie vertraut, die Einheimischen und die Zugezogenen verfielen meist dem Sog der Vereinsmeierei, zudem waren und sind sie auch heute noch verkehrsmäßig schlecht angebunden. Die Infrastruktur stimmt nicht für junge Familien und im Alter erst recht nicht.Idyllisches Fachwerk, Kneipen – schön anzusehen, einen Besuch wert, aber nicht um dort zu wohnen.Ich habe 35 Jahre in so einem Ort gewohnt und wurde dort nie heimisch, lediglich Wohnung und Kleingarten waren Lichtblicke, gearbeitet und kulturell unterwegs waren wir in der Großstadt.
Ich stimme Videbitis voll zu.
Eine Kleinstadt in Großstadtnähe mit stimmiger Infrastruktur, guter Anbindung an die Metropole, das gefällt mir eher. Zieht man sich im Alter aufs Land zurück und lebt womöglich allein, sollte man sich das sehr überlegen.
Meine Kinderstadt Goslar habe ich geliebt – damals ein Paradies für mich – heute wäre ich sofort weg.
Aber auch da hat jeder seine eigenen Vorstellungen und Erfahrungen und was dem einen sin Ul, ist dem Anderen sin Nachtigall -:)))
Grüße aus Pladderregen vom Dach, Karin
Ich neige auch zu deiner Meinung Karin, meine Mutter lebt noch auf dem Dorf und jetzt haben sie es nach 20 Jahren endlich geschafft das ein Schnellbus 2 mal am Tag in die nächste 40km entfernte Grossstadt fährt , Einkaufen geht auf dem Dorf gar nicht mehr, die Läden sterben alle weg…Konsequenz: Mein Dorf sollte wenigstens 35.000 Einwohner haben nebst Bahnanschluss und nicht weniger als 50Km von der nächsten Grossstadt entfernt liegen :-) Hier auch Dauerregen, ich wünsche dir aber trotzdem ein schönes Wochenende, lieber Gruss, Jürgen
Ich schwelge heute Abend bei Porgy und Bess aus der MET im Kino…summertime and the living is easy🤗 ….
:-) Viel Spass dabei !!!
eine Bahnverbindung und sollte nicht weniger als 50km von der nächsten Großstadt entfernt sein
Ich stimme dem zu. Dort drüben sollte ihnen auch das Leben leicht fallen
Ich glaube vielen von uns geht es ähnlich, lieber Jürgen. Je älter wir werden, desto mehr überwiegt die Nostalgie unseren Rationalismus.Aber natürlich haben wir auch das Recht, unsere alten Meinungen zu ändern, und vielleicht spricht Dich die Kirche ja auf noch viel anderen Ebenen als den nostalgischen an.
Sei herzlich gegrüßt,
Tanja
Danke Tanja, es ist alles im Fluss und was heute noch gilt liegt morgen vielleicht schon auf dem Scherbenhaufen der Geschichte… Lieber Gruss von Jürgen